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Stricken ohne Wolle

 

Fühlt sich genauso an wie Verhandeln ohne Macht. Im ersten Fall hat man nichts in der Hand. Im zweiten glaubt man, nichts in der Hand zu haben – ist aber nicht so. Woran macht sich Macht in Verhandlungen fest und wie kann sie sich äußern?

 

Der amerikanische Präsident ist ein gutes Beispiel. Wenn er etwas „sagt“, dann ist auch das im Grunde ein Vorschlag. Klingt unglaublich, ist aber so. Wenn er Menschen beschimpft, beleidigt oder bloßstellt, ist das sein Vorschlag, diese Menschen so zu sehen und zu behandeln, wie er es tut. Oder wenn er Menschen droht, zeigt er damit Konsequenzen auf. Konsequenzen sind ein wichtiger Bestandteil von Vorschlägen. Ihm geht es dabei allerdings nicht um kreative Lösungssuche oder Ergebnisoptimierung. Er nimmt eine Position ein. Die Lösung steht schon vor der Verhandlung fest.

Und Positionen fühlen sich für die andere Seite meistens an wie ein Angriff, denn:

  • sie werden vehement vorgetragen
  • Ihr eigener Vorschlag wird (meist unsachlich) kritisiert
  • sogar Sie als Person werden manchmal angegriffen mit ungefragten Attesten wie: fehlende Kompetenz, mangelnde Vorbereitung, zu jung für Erfahrung

Emotionaler Fahrstuhl

 

Dieses gerade beschriebene Verhalten des anderen nimmt in unserer Wahrnehmung gar nicht erst den Umweg über die Ratio – es nimmt SOFORT in Lichtgeschwindigkeit den Fahrstuhl in die Abteilung „Emotion“, die uns verzögerungsfrei mehrere Strategien an die Hand gibt:

  • wir spüren das Verlangen, diese oft nur unzulänglich als Vorschlag getarnte Position zu kritisieren oder zurückzuweisen, weil die Art des Vortrags und die Alternativlosigkeit innerliche Abwehr produzieren - dabei reicht schon eines von beidem
  • tun wir es, wird daraufhin oft unser eigener Vorschlag kritisiert und wir beginnen ihn zu verteidigen wie eine Position – also emotional
  • im Ergebnis wird aus dem Verhandeln ein Feilschen um Positionen - obwohl Sie doch so gut vorbereitet waren …
  • der Abdrift in einen Teufelskreis von Angriff und Verteidigung nimmt seinen Lauf

 

Wie kommt man aus der Nummer raus?

 

Theoretisch einfach. Schlagen Sie nicht zurück. Und das ist herausfordernd.

  • die anderen bekräftigen ihre Position – lassen Sie sie
  • die anderen greifen Ihren Vorschlag an – verteidigen Sie sich nicht
  • Sie werden persönlich angegriffen – unterlassen Sie den Gegenangriff oder versuchen Sie einen Smash (unübersehbar überzogener Gegenvorschlag)

Mental gehen Sie damit einen Schritt zur Seite und lassen all das, was dem Gesagten innewohnt, elegant passieren, vorbei schwimmen – wie Unrat bei einem Hochwasser.

 

Und dann kommt Ihr geistiger Paradigmenwechsel.

 

Wenn Ihre Einstellung zulässt, jeden aus IHRER Sicht noch abstrusen Vorschlag, jede aus IHRER Sicht noch so „hohle“ Kritik als den aufrichtigen Wunsch der Gegenseite zu sehen, eine Lösung herbeizuführen, dann poppt doch folgende Frage auf: Was ist der (Hinter-)Grund solcher Äußerungen bzw. was ist das EIGENTLICHE Anliegen - wenn jemand so agiert?

 

Umsetzungs-Beispiel:

 

Sie sollen als Junior-Wirtschaftsprüfer Menschen dazu bringen, Ihnen zeitgerecht Informationen zu liefern. Ihre Ansprechpartner im Fachbereich sind schon lange im Geschäft und im Grunde stehlen Sie – aus deren Sicht – nur deren Zeit und machen zusätzliche Arbeit. Da kann ein Begrüßungssatz wie „Sie sind aber noch sehr jung …“ einen Prozess in Gang bringen, der nicht gut ausgeht, wenn man im Kampfmodus ist. Spielen wir es kurz durch:

 

Sie nehmen es als Kritik an Ihrer Kompetenz - also verteidigen Sie sich, indem Sie Beweise anführen

  • durch Aufzählung Ihrer Fähigkeiten
  • durch Benennung der mit Ihnen zufriedenen anderen Kunden
  • bis hin zu Ihrer exzellenten Durchschnittsnote beim Abi und dem frühesten Seepferdchen aller Zeiten an Ihrer Schule

Und es schadet Ihnen nur, obwohl die Fakten stimmen – allein weil es Verteidigung ist.

 

Sie können auch angreifen – ein Satz wie: „Alt werden als besondere Fähigkeit in dieser Firma – interessanter Ansatz …“ wird den Empfang beim nächsten Mal nicht freundlicher machen. Deshalb: Lassen Sie den Satz vorbei schwimmen und versuchen Sie mit Fragen herauszufinden, welchem Anliegen die Äußerung des Kunden geschuldet ist. Das könnte ungefähr so aussehen:

 

  •  „ich habe Sie sagen hören, dass ich noch sehr jung bin“
  • „ganz ehrlich – bin gerade irritiert, was ich mit dem Satz anfangen soll“
  • „können Sie mir da helfen?“

Sagen Sie, was Sie gehört haben, hinterfragen Sie und lassen Sie den Dreck in der getätigten Äußerung einfach vorbeischwimmen. Zumal der gesichtete Unrat oft mehr der eigenen Interpretation als dem faktisch Gesagtem geschuldet ist. Vielleicht war der Prüfer vor 3 Jahren auf Partnerebene angesiedelt und entsprechend älter.

 

Also: schaffen Sie Klarheit FÜR SICH und hinterfragen Sie.

 

Das alles funktioniert noch besser, wenn Körper und Geist kooperieren. Wenn so ein Satz bei Ihnen ankommt – zuallererst Schweigen – tief Luft holen – mindestens 4 Sekunden Pause und nicht mehr als 7 Sekunden. Und erst dann zurück in den Dialog. Menschen haben immer einen guten Grund, so zu handeln wie sie handeln. Und den gilt es herauszufinden. Besonders in Verhandlungen.

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